Digital Programme brochure
Wie frei ist die Kunst? ©EM/Jäger & Jäger

Wie frei ist die Kunst?

Wie frei sind Komponist:innen?

Filmforum NRW e.V. No intermission | Estimated end at 16:30
Sunday
11.05.2025
15:00

Mitwirkende

Brigitta Muntendorf Komponistin

Unai Urkola Etxabe Komponist

Leonie Reineke Moderation


Mitglieder des Ensemble Modern

Dietmar Wiesner Flöte

Jaan Bossier Klarinette

Johannes Schwarz Fagott

Thomas Mittler Horn

Ueli Wiget Klavier

David Haller Schlagwerk

Giorgos Panagiotidis Violine

Veronika Paleeva Violine

Megumi Kasakawa Viola

Eva Böcker Violoncello
 

Elias Brown Dirigent

Programm

Programm

Hilda Paredes *1957
Juegos prohibidos (2019)
für Klarinette, Violoncello und Klavier

Carmine-Emanuele Cella *1976
La mémoire de l’eau (2014)
für neun Musiker

Liza Lim *1966
The Heart’s Ear (1997)
für sechs Musiker

Zu den Werken

Hilda Paredes: Juegos prohibidos (2019)

Die Herausforderung beim Schreiben von Juegos prohibidos (Forbidden Games) bestand darin, der Bitte von Vincent Domniguez gerecht zu werden, dass das Stück einen Bezug zu politischen oder sozialen Fragen in Mexiko oder in der mexikanischen Gemeinschaft in den USA herstellen sollte. Ohne einen Text, der vertont oder inszeniert werden kann – wie es in einigen meiner Opern- und Musiktheaterwerke der Fall war, z.B. La tierra de la miel oder El palacio imaginado – ist dies ein schwieriges Unterfangen. Beide Stücke behandeln politische, soziale und geschlechtsspezifische Themen in Mexiko und an der Grenze. Ich entschloss mich daher dazu, in Juegos prohibidos die Situation von Kindern zu thematisieren, die, häufig getrennt von ihren Eltern, in Haftanstalten an der Grenze festgehalten werden, und wie ihre Kindheit zerstört wird. Ich habe mich diesem Thema genähert, indem ich Fragmente aus zwei bekannten lateinamerikanischen Kinderliedern zitierte. So hören wir am Ende des Scherzando-Abschnitts ein Fragment des mexikanischen Liedes »Dale, dale«. Normalerweise wird es gesungen, während die Piñata von Kindern zerschlagen wird, aber hier ist es das Lied selbst, das zerschlagen wird, und mit ihm die spielerische Interaktion der Instrumente. Es folgt ein von Glissandi und Trillern geprägter Übergang, der zu einem melodischen Material führt, das auf Viertel- und Achteltönen aufgebaut ist und eine Trauerklage evozieren soll. Dieser Abschnitt nimmt Bezug auf den Anfang des Stücks, nur dass er diesmal zur Zerstörung des melodischen Materials und sogar der Tonhöhen führt, indem auch Geräuschklänge zur Darstellung dieser Zerstörung eingesetzt werden. Zum Abschluss dieses Abschnitts erklingen in den hohen Lagen der Bassklarinette und später des Cellos Fragmente des südamerikanischen Wiegenliedes »Duerme negrito«. Juegos prohibidos wurde 2019 von Vincent Domniguez in Auftrag gegeben.

Hilda Paredes

Carmine-Emanuele Cella: La mémoire de l’eau (2014)

La mémoire de l’eau erforscht eine Vorstellung von musikalischer Zeit, die sich der Linearität entzieht. Anstatt sich in Form einer Entwicklung oder eines erzählerischen Fortschreitens zu entfalten, lebt das Stück in einer schwebenden Zeitlichkeit – einer ewigen Gegenwart, in der sich die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auflösen. Die Komposition dehnt die Zeit aus und entfaltet sich in langsamen, kontinuierlichen Transformationen. Subtile Variationen untergraben das musikalische Gedächtnis und beeinträchtigen die Fähigkeit des Hörers, das Kommende vorherzusagen. In Abwesenheit von Erinnerung und Vorwegnahme zerbricht die Zeit selbst und verwandelt sich in einen einzigartigen Moment – einen Raum, in dem alle Dinge gleichermaßen waren, sind und sein werden. Die Form des Stücks folgt einem Prozess der allmählichen Ausdünnung: Die musikalischen Ideen werden immer transparenter und entfernter, lösen sich ineinander auf wie Blutstropfen, die sich im Wasser verteilen. Durch diese Auflösung evoziert das Stück eine eindringliche, fast rituelle Qualität – eine Meditation über das Dasein, das Verschwinden und den zerbrechlichen Abdruck, den Klänge in der Zeit hinterlassen.

Carmine-Emanuele Cella

 

Liza Lim: The Heart’s Ear (1997)

The Heart’s Ear für Flöte/Piccolo, Klarinette und Streichquartett wurde vom Australia Ensemble in Auftrag gegeben und ist in der arabischen oder türkisch-islamischen Musik verwurzelt. Sowohl der Titel des Werks als auch die musikalischen Einflüsse spiegeln mein langjähriges persönliches Interesse an der Sufi-Poesie wider, insbesondere an der des mystischen Dichters Jelaluddin Rumi aus dem 13. Jahrhundert. Rumis Poesie ist durchdrungen von Bildern einer ekstatischen Verbindung mit dem Göttlichen. Seine Gedichte enthalten oft musikalische Bezüge, und vor allem die Beziehung zwischen einem Musiker und seinem Instrument dient ihm als Metapher dafür, dass der Mensch ein Medium sein kann, durch das sich der Geist bewegt. Häufig beschreibt er die Intimität, die zwischen einem Musiker und seinem Instrument herrscht, als eine erotische Beziehung – eine Liebesbeziehung mit vielen subtilen Berührungen, Atemzügen und einem Tanz des Körpers.

Zum Beispiel:

»Gott nimmt die Rohrflötenwelt und bläst,
jeder Ton ein Bedürfnis, das einen von uns durchfährt,
eine Leidenschaft, ein sehnsüchtiger Schmerz.«

Ein immer wiederkehrendes Thema in Rumis Poesie ist die »Stille« – aber nicht als Zustand der Abwesenheit, sondern als eine Art Wachsamkeit, ein Zustand des Zuhörens mit dem »Ohr des Herzens«, das sich dem Potenzial eines jeden Augenblicks öffnet.

The Heart’s Ear beginnt mit einem sehr kurzen Fragment einer Sufi-Melodie, um eine bestimmte Qualität dieser Form der Aufmerksamkeit zu evozieren – dass sie als Geschenk betrachtet werden sollte. Die Melodie ist, um aus einem anderen Gedicht Rumis zu zitieren, »wie Vogelgesang, der im Inneren eines Eis beginnt«, ein wunderschönes Bild von etwas, das im Entstehen begriffen ist und dabei ist, sich in eine größere Welt hinein zu öffnen. Ich habe mir das Stück als Musik vorgestellt, die organisch aus dieser anfänglichen Melodie wächst (die innere Qualität einer Melodie, die zu sich selbst singt) und sich ihren Weg in eine Reihe von musikalischen Räumen »pickt«.

Liza Lim (1997)

Einige weitere Gedanken:

The Heart’s Ear ist eine Meditation über ein Fragment einer Sufi-Melodie. Im Sufismus kommt (dem allgemeinen Verständnis nach) die ekstatische Dimension des Islam zum Ausdruck – vielleicht vergleichbar mit den gnostischen Traditionen im Christentum, die das Element des Geheimnisses oder der Mystik und das Ideal einer ekstatischen Verbindung mit dem Göttlichen betonen. Ich habe mich oft von der Poesie von Rumi, einem Sufi-Mystiker aus dem 13. Jahrhundert, inspirieren lassen, und in einem seiner Gedichte gibt es eine Zeile, in der es heißt, die Sehnsucht nach dieser göttlichen Verbindung sei »wie Vogelgesang, der im Inneren des Eis beginnt«. Für mich ist das ein Bild mit wunderbarem poetischem Potenzial – ein Lied, das kurz vor der Geburt steht; Musik, die über eine Schwelle von einem magischen Ort kommt. Die Eröffnungsphrase des Werks basiert auf einer Melodie, die ich die Brüder Erguner (türkische Meistermusiker) auf der Ney, einer Rohrflöte, habe spielen hören. Ich stelle mir diese Melodie, diesen »Vogelgesang, der im Inneren des Eis beginnt«, als etwas vor, das sich seinen Weg nach draußen »pickt«, hinein in eine Abfolge von musikalischen Räumen. Es gibt ein Gespräch zwischen Stille (oder innerem Zuhören) und Gesang (eine Art, die Sehnsucht zu beschreiben), die sich miteinander verflechten und durch die Musikinstrumente fließen.

Musik spielt in der Sufi-Tradition eine sehr wichtige Rolle und wird oft zur Unterstützung von Meditation, Gesang und rituellem Tanz eingesetzt. Dabei kommt es vor allem darauf an, auf welche Art und Weise man sie hört – der Sufi-Begriff »sema« bedeutet eine besondere Form des Zuhörens, die eine Vereinigung mit dem Göttlichen bewirken soll, oder, wie Rumi sagte: »Du musst mit dem Herzen zuhören, nicht mit dem Körper.«

Liza Lim (2011)

Biographien

Brigitta Muntendorf | Komponistin

Brigitta Muntendorf

Brigitta Muntendorf ©Johann Sebastian Hänel

Read more

Unai Urkola Etxabe | Komponist

Unai Urkola Etxabe

Unai Urkola Etxabe ©Diego Rodriguez Robredo

Unai Urkola Etxabe, geboren 1999 in Anoeta im Baskenland, ist Komponist, Klangkünstler und Musikredakteur und stark beeinflusst von virtueller Kultur und Phänomenen, die meist am Rande der Gesellschaft bleiben. Er schloss sein Kompositionsstudium am Musikkonservatorium von Katalonien (ESMUC) bei Mauricio Sotelo, Fèlix Pastor und Christophe Havel ab. 2022 zog er nach Köln, um an der Hochschule für Musik und Tanz bei Michael Beil einen Master in elektronischer Komposition zu absolvieren. 2020 begann er zudem sein Studium der Anthropologie und menschlichen Evolution an der Open University of Catalonia (UOC). Heute kreiert er mit einem stark visuellen Ansatz immersive und performative Umgebungen. In den letzten Jahren startete er das »Backrooms Resonance Project«, eine Reihe immersiver Werke.

Unai Urkola Etxabe erhielt Auszeichnungen bei verschiedenen Wettbewerben, u.a. auch beim Internationalen ACHT BRÜCKEN Kompositionswettbewerb. Er arbeitete mit dem Ensemble Musikfabrik und dem Bonner gkg zusammen. Darüber hinaus beschäftigte er sich mit professioneller Fotografie, Kostümbild und Bühnenregie und war freiberuflich als Notensetzer, Lektor und Korrektor tätig

Leonie Reineke | Moderation

Leonie Reineke

Leonie Reineke

Leonie Reineke studierte Musikwissenschaft und Gesang an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Sie ist Redakteurin für Neue Musik beim Südwestrundfunk und arbeitet als freie Autorin und Moderatorin für die Kulturprogramme von ARD und Deutschlandradio. Einen Schwerpunkt ihrer Arbeit bildet die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Sie ist Mitglied im Projektbeirat Neue Musik des Deutschen Musikrats und hält regelmäßig Gastvorträge, Lehrveranstaltungen und Nachwuchsseminare an Universitäten und Musikhochschulen, u.a. in Essen, Hamburg, Berlin und Zürich. In den Jahren 2015, 2016 und 2020 plante und leitete sie das Festival nano für zeitgenössische Musik in Essen. Sie war in verschiedenen Jurys tätig, u.a. beim Fonds Experimentelles Musiktheater, den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt und dem Kulturamt der Stadt Köln. 2017 wurde sie mit dem Folkwang-Preis in der Sparte Musikwissenschaft ausgezeichnet, 2018 erhielt sie den Reinhard-Schulz-Preis für zeitgenössische Musikpublizistik.

Ensemble Modern

Ensemble Modern

Ensemble Modern ©Wonge Bergmann

Read more

Elias Brown | Dirigent

Elias Brown

Elias Brown ©Jessica Chappe

Elias Brown dirigiert führende Orchester und kuratiert phantasievolle Kooperationen zwischen verschiedenen Kunstformen. Er ist ein moderner Dirigent – neugierig, vielseitig und zukunftsorientiert. Vor Kurzem wurde er zum Assistenzdirigenten des Odense Symphony Orchestra ernannt und er assistiert in dieser Saison Esa-Pekka Salonen bei einer neuen Simon McBurney-Produktion von Chowanschtschina bei den Salzburger Osterfestspielen. Brown wurde von Salonen persönlich als Salonen Fellow für die Spielzeit 2023/24 gefördert und diente ihm als Assistenzdirigent beim San Francisco Symphony, beim Los Angeles Philharmonic, beim Orchestre de Paris und beim Ensemble intercontemporain.

In den letzten Jahren dirigierte Brown das San Francisco Symphony, die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken-Kaiserslautern, das Flemish Symphony Orchestra, die Nürnberger Symphoniker und die Magdeburgische Philharmonie. Browns eigene Talente als Komponist und Improvisator sowie seine Liebe zur Neuen Musik haben die Zusammenarbeit mit namhaften Ensembles für zeitgenössische Musik in ganz Europa positiv beeinflusst, darunter das Ensemble Musikfabrik, das Ensemble Zafraan, das New Babylon Ensemble, das Spectra Ensemble und das Divertimento Ensemble

Hinweise

  • Ein digitales Programmheft?

    Erleben Sie die Konzerte beim Festival ACHT BRÜCKEN auf neue Art und Weise – interaktiv, multimedial und jederzeit zugänglich mit dem neuen digitalen Programmheft.

    Schon mehrere Tage vor dem Konzert ist das digitale Programmheft kostenlos verfügbar und bietet Zusatzinformationen und multimediale Inhalte.

    Für den Konzertabend liefert das digitale Programmheft die gewohnten Hintergrundinformationen zu den Mitwirkenden, Komponist:innen und Werken und gibt einen umfassenden Einblick in das Konzertprogramm.

    Eine Stunde vor dem Konzert wechselt das Programmheft in den Konzertmodus: Multimediale Inhalte werden deaktiviert und die gesamte Darstellung abgedunkelt,  um den Konzertgenuss nicht zu stören.

  • Zur Nutzung des Mobiltelefons

    Im Saal ist der Zugang zum Internet eingeschränkt. Bitte laden Sie das digitale Programmheft vor dem Konzert.

    Während des Konzertes bitten wir Sie, Ihr Mobiltelefon auf lautlos zu stellen und den Modus »Nicht stören« zu aktivieren. Lehnen Sie sich zurück und genießen Sie es, einmal nicht erreichbar zu sein.

  • Bild- und Tonaufnahmen

    Wir bitten um Ihr Verständnis, dass Bild- und Tonaufnahmen aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet sind. Beim Schlussapplaus dürfen Sie zur Erinnerung und privaten Nutzung gern ohne Blitz fotografieren und Ihre Bilder auch auf Social-Media-Kanälen teilen, nicht aber filmen oder den Ton mitschneiden.

Redaktion

Träger

Kulturpartner des Festivals

Veranstalter:
KölnMusik GmbH

Herausgeber:
ACHTBRÜCKEN GmbH
Bischofsgartenstraße 1, 50667 Köln

V.i.S.d.P.
Louwrens Langevoort,
Gesamtleiter und Geschäftsführer der ACHTBRÜCKEN GmbH und Intendant der Kölner Philharmonie

Textnachweise:

Hilda Paredes © Hilda Paredes, übersetzt von Michael Steffens | Carmine-Emanuele Cella © Carmine-Emanuele Cella, übersetzt von Michael Steffens | Liza Lim © Liza Lim, übersetzt von Michael Steffens

Redaktion:

Sebastian Loelgen