Die Herausforderung beim Schreiben von Juegos prohibidos (Forbidden Games) bestand darin, der Bitte von Vincent Domniguez gerecht zu werden, dass das Stück einen Bezug zu politischen oder sozialen Fragen in Mexiko oder in der mexikanischen Gemeinschaft in den USA herstellen sollte. Ohne einen Text, der vertont oder inszeniert werden kann – wie es in einigen meiner Opern- und Musiktheaterwerke der Fall war, z.B. La tierra de la miel oder El palacio imaginado – ist dies ein schwieriges Unterfangen. Beide Stücke behandeln politische, soziale und geschlechtsspezifische Themen in Mexiko und an der Grenze. Ich entschloss mich daher dazu, in Juegos prohibidos die Situation von Kindern zu thematisieren, die, häufig getrennt von ihren Eltern, in Haftanstalten an der Grenze festgehalten werden, und wie ihre Kindheit zerstört wird. Ich habe mich diesem Thema genähert, indem ich Fragmente aus zwei bekannten lateinamerikanischen Kinderliedern zitierte. So hören wir am Ende des Scherzando-Abschnitts ein Fragment des mexikanischen Liedes »Dale, dale«. Normalerweise wird es gesungen, während die Piñata von Kindern zerschlagen wird, aber hier ist es das Lied selbst, das zerschlagen wird, und mit ihm die spielerische Interaktion der Instrumente. Es folgt ein von Glissandi und Trillern geprägter Übergang, der zu einem melodischen Material führt, das auf Viertel- und Achteltönen aufgebaut ist und eine Trauerklage evozieren soll. Dieser Abschnitt nimmt Bezug auf den Anfang des Stücks, nur dass er diesmal zur Zerstörung des melodischen Materials und sogar der Tonhöhen führt, indem auch Geräuschklänge zur Darstellung dieser Zerstörung eingesetzt werden. Zum Abschluss dieses Abschnitts erklingen in den hohen Lagen der Bassklarinette und später des Cellos Fragmente des südamerikanischen Wiegenliedes »Duerme negrito«. Juegos prohibidos wurde 2019 von Vincent Domniguez in Auftrag gegeben.
Hilda Paredes
La mémoire de l’eau erforscht eine Vorstellung von musikalischer Zeit, die sich der Linearität entzieht. Anstatt sich in Form einer Entwicklung oder eines erzählerischen Fortschreitens zu entfalten, lebt das Stück in einer schwebenden Zeitlichkeit – einer ewigen Gegenwart, in der sich die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auflösen. Die Komposition dehnt die Zeit aus und entfaltet sich in langsamen, kontinuierlichen Transformationen. Subtile Variationen untergraben das musikalische Gedächtnis und beeinträchtigen die Fähigkeit des Hörers, das Kommende vorherzusagen. In Abwesenheit von Erinnerung und Vorwegnahme zerbricht die Zeit selbst und verwandelt sich in einen einzigartigen Moment – einen Raum, in dem alle Dinge gleichermaßen waren, sind und sein werden. Die Form des Stücks folgt einem Prozess der allmählichen Ausdünnung: Die musikalischen Ideen werden immer transparenter und entfernter, lösen sich ineinander auf wie Blutstropfen, die sich im Wasser verteilen. Durch diese Auflösung evoziert das Stück eine eindringliche, fast rituelle Qualität – eine Meditation über das Dasein, das Verschwinden und den zerbrechlichen Abdruck, den Klänge in der Zeit hinterlassen.
Carmine-Emanuele Cella
The Heart’s Ear für Flöte/Piccolo, Klarinette und Streichquartett wurde vom Australia Ensemble in Auftrag gegeben und ist in der arabischen oder türkisch-islamischen Musik verwurzelt. Sowohl der Titel des Werks als auch die musikalischen Einflüsse spiegeln mein langjähriges persönliches Interesse an der Sufi-Poesie wider, insbesondere an der des mystischen Dichters Jelaluddin Rumi aus dem 13. Jahrhundert. Rumis Poesie ist durchdrungen von Bildern einer ekstatischen Verbindung mit dem Göttlichen. Seine Gedichte enthalten oft musikalische Bezüge, und vor allem die Beziehung zwischen einem Musiker und seinem Instrument dient ihm als Metapher dafür, dass der Mensch ein Medium sein kann, durch das sich der Geist bewegt. Häufig beschreibt er die Intimität, die zwischen einem Musiker und seinem Instrument herrscht, als eine erotische Beziehung – eine Liebesbeziehung mit vielen subtilen Berührungen, Atemzügen und einem Tanz des Körpers.
Zum Beispiel:
»Gott nimmt die Rohrflötenwelt und bläst,
jeder Ton ein Bedürfnis, das einen von uns durchfährt,
eine Leidenschaft, ein sehnsüchtiger Schmerz.«
Ein immer wiederkehrendes Thema in Rumis Poesie ist die »Stille« – aber nicht als Zustand der Abwesenheit, sondern als eine Art Wachsamkeit, ein Zustand des Zuhörens mit dem »Ohr des Herzens«, das sich dem Potenzial eines jeden Augenblicks öffnet.
The Heart’s Ear beginnt mit einem sehr kurzen Fragment einer Sufi-Melodie, um eine bestimmte Qualität dieser Form der Aufmerksamkeit zu evozieren – dass sie als Geschenk betrachtet werden sollte. Die Melodie ist, um aus einem anderen Gedicht Rumis zu zitieren, »wie Vogelgesang, der im Inneren eines Eis beginnt«, ein wunderschönes Bild von etwas, das im Entstehen begriffen ist und dabei ist, sich in eine größere Welt hinein zu öffnen. Ich habe mir das Stück als Musik vorgestellt, die organisch aus dieser anfänglichen Melodie wächst (die innere Qualität einer Melodie, die zu sich selbst singt) und sich ihren Weg in eine Reihe von musikalischen Räumen »pickt«.
Liza Lim (1997)
Einige weitere Gedanken:
The Heart’s Ear ist eine Meditation über ein Fragment einer Sufi-Melodie. Im Sufismus kommt (dem allgemeinen Verständnis nach) die ekstatische Dimension des Islam zum Ausdruck – vielleicht vergleichbar mit den gnostischen Traditionen im Christentum, die das Element des Geheimnisses oder der Mystik und das Ideal einer ekstatischen Verbindung mit dem Göttlichen betonen. Ich habe mich oft von der Poesie von Rumi, einem Sufi-Mystiker aus dem 13. Jahrhundert, inspirieren lassen, und in einem seiner Gedichte gibt es eine Zeile, in der es heißt, die Sehnsucht nach dieser göttlichen Verbindung sei »wie Vogelgesang, der im Inneren des Eis beginnt«. Für mich ist das ein Bild mit wunderbarem poetischem Potenzial – ein Lied, das kurz vor der Geburt steht; Musik, die über eine Schwelle von einem magischen Ort kommt. Die Eröffnungsphrase des Werks basiert auf einer Melodie, die ich die Brüder Erguner (türkische Meistermusiker) auf der Ney, einer Rohrflöte, habe spielen hören. Ich stelle mir diese Melodie, diesen »Vogelgesang, der im Inneren des Eis beginnt«, als etwas vor, das sich seinen Weg nach draußen »pickt«, hinein in eine Abfolge von musikalischen Räumen. Es gibt ein Gespräch zwischen Stille (oder innerem Zuhören) und Gesang (eine Art, die Sehnsucht zu beschreiben), die sich miteinander verflechten und durch die Musikinstrumente fließen.
Musik spielt in der Sufi-Tradition eine sehr wichtige Rolle und wird oft zur Unterstützung von Meditation, Gesang und rituellem Tanz eingesetzt. Dabei kommt es vor allem darauf an, auf welche Art und Weise man sie hört – der Sufi-Begriff »sema« bedeutet eine besondere Form des Zuhörens, die eine Vereinigung mit dem Göttlichen bewirken soll, oder, wie Rumi sagte: »Du musst mit dem Herzen zuhören, nicht mit dem Körper.«
Liza Lim (2011)