Digital Programme brochure
Kuss Quartett ©Rüdiger Schestag

Terra memoria

Werke von Kaija Saariaho, Mark Andre, Francisco Coll und Mauro Montalbetti

WDR Funkhaus am Wallrafplatz No intermission | Estimated end at 19:20
Monday
12.05.2025
18:00

Einführung

17:00 Einführung in das Konzert durch Dr. Nicolette Schäfer und Oliver Wille

Artists

Programm

Programm

Mauro Montalbetti *1969
Tactus (2024–25)
für Streichquartett
I.–III.
Uraufführung
Kompositionsauftrag von Scuola Normale Superiore di Pisa und ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln, unterstützt durch das Istituto Italiano di Cultura Colonia

Francisco Coll *1985
Códices (2022)
für Streichquartett
I. Співи (Spivy)
II. Cantos I (after Hyperlude V)
III. Quejío
IV. Cantos II

Mark Andre *1964
Sieben Stücke für Streichquartett (2022–25)
Fassung von 2025
I.–VII.
Uraufführung

Kaija Saariaho 1952–2023
Terra memoria (2007)
für Streichquartett

 

Das Konzert wird vom WDR für den Hörfunk aufgezeichnet und kann am 5. Juni 2025 im Radio und anschließend für 30 Tage auf wdr3.de nachgehört werden.

  • Gefördert durch die Kunststiftung NRW

Zu den Werken

Mauro Montalbetti: Tactus

Tactus betitelt der italienische Komponist Mauro Montalbetti sein 2024/25 geschriebenes, heute durch das Kuss Quartett uraufgeführtes Streichquartett und liefert so schon allerlei Assoziationen wie Tastsinn, Empfindung, Gefühl, Wirkung sowie Berührung und Berührbarkeit. »Tactus« bedeutet aber auch Schlag, die Bewegung des Fingers oder der Hand oder des wortwörtlichen Taktstockes, der auf den Boden gestoßen wurde, um die musikalisch-metrische Grundstruktur im Gleichmaß zu halten. Solche gestischen Zeichen gab es schon in der Spätantike und Kirchenlehrer Augustinus, der genaue Beobachter seiner Zeit, nannte sie »percussio«. Die metrischen Zeichengebungen der Dirigierenden kennen Nieder- und Aufschlag, egal ob in geraden (1:1) oder in ungeraden (2:1) Takten, wobei – metaphorisch wie konkret – die Empfindung für das Angemessene und Schickliche eine wichtige Voraussetzung ist, in der Musik wie im Leben.

Francisco Coll: Códices

In seinem Streichquartett Códices (2022) erinnert der spanische Komponist Francisco Coll an Melodien und Satzweisen, die in den Sätzen 1 und 3 von Volksmusik grundiert sind: von einer alten kratzigen Aufnahme eines Tangos aus der Ukraine, den Coll nach und nach in einen stürmischen Paso Doble moduliert sowie in Satz 3 von Charakteristika des Cante Jondo und – darauf verweist der Satztitel – dieses ernsten Flamenco; das spanische Quejío (»ich beklage mich« bzw. »Jammern«) benennt in diesem Genre das besungene Leid und die zu verarbeitende Trauer. Die Sätze 3 und 4 heißen jeweils Cantos, wobei der erste – ursprünglich schon 2017 als selbstständiges Streichquartettstück notiert – auf Colls 20-minütiges Geigensolo Hyperludes (2014) zurückgeht, das die menschliche Stimme und den Atem moduliert. Und in dem Schlusssatz Cantos II kodiert und kodifiziert Francesco Coll mit zwei Musikstücken, die ihn seit langem begleiten und beschäftigen. Der Schlussakkord aus den Fünf Sätzen für Streichquartett op. 5 (1909) von Anton Webern bildet hier die Initiale und wird transformiert in die Sprachlichkeit des wohl ältesten in Notation überlieferten Musikstücks: dem aus dem 12. Jahrhundert vor unserer Zeitrechung stammenden Hymnus an Nikkal aus der Stadt Ugarit im heutigen Syrien.

Mark Andre: Sieben Stücke für Streichquartett

Intim und gar nach innen entrückt scheinend sind die zwischen 2022 und 2025 entstandenen Sieben Stücke für Streichquartett des in Berlin lebenden und in Dresden lehrenden Komponisten Mark Andre, das heute – nach einigen Teilpremieren – in einer modifizierten Fassung durch den Auftraggeber uraufgeführt wird, dem Kuss Quartett. Es handelt sich um sieben Miniaturen, die mit einer »spährischen« Situation nahe der Hörbarkeitsgrenze eröffnet werden und innerhalb dieses schmalen Wahrnehmungsbands ein immenses Spektrum von instrumnetalklanglichen Feinheiten erblühen lassen, inklusive zahlloser Nuancen des Atmens und der Atmengräusche. Und mit dieser die höchste Konzentration verlangenden und durch die rigoros zurückgenommene Lautheit erst sich einstellende Fokussierung der sich aufrichtenden Haarsinneszellen ist der siebente und letzte Satz eine wirkliche Wucht, ein hier besonders zupackender dramaturgischer Effekt.

Mark Andre, der in vielen seiner Kompositionen, gerade auch in den Werktiteln neutestamentarische Verweise benennt oder auch mal verschlüsselt, hat den Sieben Stücken keine solche explizite Auskunft zur Seite gestellt. Eine vielleicht passende könnte aber sein: »Da trat Petrus zu ihm und fragte: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal sieben.« (Mt., 18, 21–22).

Kaija Saariaho: Terra memoria

Kaija Saariaho widmet die Komposition Terra memoria (2007), dem nach Nymphéa (1987) zweiten Streichquartett in ihrem Œuvre, ganz allgemein den »Verstorbenen«. Dazu sagt sie: »Wir erinnern uns weiterhin an die Menschen, die nicht mehr unter uns sind; das Material – ihr Leben – ist „abgeschlossen«, nichts wird hinzugefügt. Diejenigen von uns, die zurückbleiben, werden ständig an unsere gemeinsamen Erfahrungen erinnert: Unsere Gefühle zu verschiedenen Aspekten ihrer Persönlichkeit verändern sich ständig, bestimmte Erinnerungen verfolgen uns in unseren Träumen. Selbst nach vielen Jahren verändern sich manche dieser Erinnerungen, andere bleiben klare Blitze, die wir wiedererleben können. Diese Gedanken brachten mich dazu, das musikalische Material auf eine bestimmte Weise zu behandeln; manche Aspekte durchlaufen mehrere markante Transformationen, während andere nahezu unverändert und klar erkennbar bleiben.«

Mit dem Titel Terra memoria benennt Saariaho die Erde als (Klang-)Material und die Erinnerung als deren (kompositorisch-musikalische) Verarbeitung für die Besetzung Streichquartett, dessen intime Kommunikationsmöglichkeiten sie hier wie mehrstimmige Zwiegespräche aufscheinen lässt.

Stefan Fricke

Fragen an ...

Wir haben den Künstlerinnen und Künstlern acht Fragen gestellt, deren Beantwortung ein persönliches Bild darüber ergeben sollte, welche Aspekte ihre musikalische Arbeit beeinflussen. Es blieb ihnen freigestellt, welche und wie viele der Fragen sie in ihrer eigenen oder einer ihnen vertrauten Sprache beantworten.

»… music can change how we look and live inside the human society …«

Mauro Montalbetti | Komponist

Mauro Montalbetti

Mauro Montalbetti ©VCC (Visby Composer Centre)

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»… it can’t fight intolerance«

Francisco Coll | Komponist

Francisco Coll

Francisco Coll ©Anna Gatunok

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»… das Innerste zu hören«

Mark Andre | Komponist

Mark Andre

Mark Andre ©Manu Theobald

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»Es ist ein Auftrag an uns Musiker, diese Unendlichkeit zu erforschen …«

Kuss Quartett

Kuss Quartett

Kuss Quartett ©Rüdiger Schestag

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Träger

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Veranstalter:
ACHTBRÜCKEN GmbH

Herausgeber:
ACHTBRÜCKEN GmbH
Bischofsgartenstraße 1, 50667 Köln

V.i.S.d.P.
Louwrens Langevoort,
Gesamtleiter und Geschäftsführer der ACHTBRÜCKEN GmbH und Intendant der Kölner Philharmonie

Redaktion:

Sebastian Loelgen