Ein kleiner Reiseführer für die Ohren von und mit Marie König. Heute: Liebe hinter Mauern
Bartók: Herzog Blaubarts Burg
Philharmonie.7 – Eine sagenhafte Stunde
05.11.2024
19:00
Audio-Einführung
Belá Bartók: Herzog Blaubarts Burg
Philharmonie.7 – Eine sagenhafte Stunde
Mitwirkende
Mitwirkende
Programm
Programm
Béla Bartók 1881–1945
Herzog Blaubarts Burg Sz 48 op. 11 (1911, rev. 1912, 1918)
Oper in einem Akt. Libretto von Béla Balász
Konzertante Aufführung in ungarischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Zum Inhalt
Zum Inhalt der Oper
Judith liebt, trotz unheimlicher Kunde, den rätselhaften Herzog Blaubart. Für ihn hat sie ihre Familie und ihren Verlobten verlassen. In seiner Burg angekommen, will sie den düsteren Ort öffnen und mit Licht erfüllen. Beim Ergründen des Inneren stößt sie auf verstörende Räume. Sieben Türen schließt Judith auf und entdeckt dabei zunächst Blaubarts Folter- und seine Waffenkammer. Auch die funkelnde Schatzkammer und der blühende Blumengarten erweisen sich als blutgetränkt. Selbst der Blick in Blaubarts schönes Land wird durch blutige Schatten der Wolken getrübt. Hinter der vorletzten Tür ergießt sich ein Tränensee, aus der letzten treten schließlich Blaubarts frühere Frauen. Diesen dreien gehören der Morgendämmer, der Mittag und der Abend. Als vierte krönt Blaubart nun Judith mit dem erdrückenden Sternenmantel der Nacht. So folgt sie den anderen. Die siebte Tür fällt wieder ins Schloss. »Auf immer«, sagt Blaubart, »wird jetzt Nacht sein.« Dann verhüllt ihn die Finsternis.
Zum Werk
Béla Bartók, ca. 1915
Furchtbares Faszinosum: Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg
Die literarische Figur des Frauenmörders Blaubart tauchte erstmals Ende des 17. Jahrhunderts in einem Märchen von Charles Perrault auf. Später fand die Geschichte Eingang in die Sammlung der Gebrüder Grimm. In Varianten wurde sie auch von anderen Autoren aufgegriffen. Meist wird die gerade gefährdete Protagonistin gerettet und Blaubart bestraft. Im Drama des belgischen Dichters Maurice Maeterlinck (Ariane et Barbe-Bleue, 1901) emanzipiert sich die Frau selbstbewusst von ihrem Peiniger.
Von Maeterlincks andeutungsreichem, symbolistischem Stil inspiriert, verfasste der 25-jährige Béla Balázs im Versmaß ungarischer Volksballaden sein einaktiges Mysterienspiel A kékszakállú herceg vára (Herzog Blaubarts Burg, 1910). Oszillierend zwischen Archaik und der Moderne des Fin de Siècle (deren Vertreter bei aller Aufgeschlossenheit auch die Arroganz antifeministischer Attitüde pflegten) schreibt dieser Text wieder ein ungleiches Verhältnis der Geschlechter fest. Die Apotheose der Weiblichkeit geht hier mit ihrer Auslöschung einher. Je mehr Judith Blaubarts Wesen ergründet, umso mehr beraubt er sie ihrer Souveränität. Seine Burg, das Symbol seines Ichs, bleibt am Ende steinern-finsteres Patriarchat.
Béla Balázs widmete sein Stück den von ihm verehrten, ebenfalls noch jungen ungarischen Komponisten Zoltán Kodály und Béla Bartók. Letzterer schuf schon bald darauf – im Alter von dreißig Jahren – aus Balázs’ tiefenpsychologisch komplexer, charakterlich ambivalenter, dramatischer Legendendichtung im Jahr 1911 einen musikalisch atemberaubenden Operneinakter. Die Zeitgenossen waren von seiner Klangsprache zunächst überfordert, weshalb das Werk – in Details, aber nicht grundsätzlich überarbeitet – erst 1918 am Königlichen Opernhaus in Budapest zur Uraufführung gelangte.
Die bereits in Balázs’ Versen angelegte Verbindung von Vorzeit und Zeitgeist kam dem kompositorischen Zugang und Zugriff von Béla Bartók besonders entgegen. Eng schmiegte er – der sich intensiv mit der Volksmusik seines Landes auseinandersetzte und deren Merkmale in seinen Stil integrierte – den Gesang (zwischen Parlando und Arioso) an die ungarische Sprachmelodie an und bettete alles in eine packend zeitgemäße Klangsprache: expressiver Impressionismus, entfaltet von einem farbenreichen Orchester, welches das Schauerliche ebenso tönende Gestalt werden lässt wie die glühende Leidenschaft.
Aus der Finsternis von fis-Moll hebt sich das Geschehen empor und sinkt dorthin auch wieder zurück. Dazwischen leuchtet die beklemmende Pracht des verborgenen Burg- und Seelen-Inneren. Bartóks Klangräume beschreiben eindrücklich das Weh der Folterkammer, das Martialische des Arsenals, das Funkeln der Schätze, die Schönheit der blühenden Natur, die majestätische Weite des Landes als hymnischen Höhepunkt in C-Dur, das stille Schwanken des Tränensees, den Mystizismus der Erscheinungen (wobei Blaubarts Schwärmen konterkariert wird von Judiths angstvollem Widerstreben). In alles drängt sich immerfort die Reibung der kleinen Sekunde: Chiffre für vergossenes Blut. Die Verklärung birgt Vernichtung.
Oliver Binder
Biografien
Deirdre Angenent
Die niederländische Mezzosopranistin Deirdre Angenent studierte Gesang in Arnhem sowie an der Nationale Opera Academie in Den Haag/Amsterdam. Danach führte sie ihre Ausbildung mit einem Stipendium bei Ira Siff in New York fort. 2014 gewann sie zwei Preise beim Internationalen Gesangswettbewerb von ’s-Hertogenbosch, 2015 unter anderem den Ersten Preis beim Grand Prix de l’Opéra Bukarest. Ihr Repertoire umfasst Partien wie jene der Leonore in Beethovens Fidelio, des Komponisten in Strauss’ Ariadne auf Naxos oder der Venus in Wagners Tannhäuser, die sie bereits in Schwerin, Karlsruhe, Eisenach, Meiningen, Seoul und Essen gesungen hat. Ihr Debüt als Judith in Bartóks Herzog Blaubarts Burg feierte sie 2022 am Aalto-Musiktheater Essen und sie sang die Partie danach mit dem Jerusalem Symphony Orchestra in Israel sowie mit den Bochumer Symphonikern. In der aktuellen Saison singt sie unter anderem die Partie der Marie in Bergs Wozzeck in Essen sowie dort auch die Rolle der Angela Rose in Missy Mazzolis The Listeners.
Bei uns gibt sie beim Konzert am 5. November ihr Debüt.
Thomas Oliemans
Der niederländische Bariton Thomas Oliemans erhielt seine Gesangsausbildung am Amsterdamer Konservatorium bei Margreet Honig. Heute gastiert er international auf den großen Bühnen der Opern- und Konzerthäuser sowie bei den großen Festivals. So ist er in der aktuellen Saison an der Metropolitan Opera New York als Papageno in Mozarts Zauberflöte zu erleben und am Londoner Royal Opera House als Helmut in der Uraufführung von Turnages Oper Festen. Außerdem wird er sein Rollendebüt als Frank in Strauß’ Fledermaus an De Nationale Opera Amsterdam geben. Auf der Konzertbühne wird er in Lissabon in Mahlers achter Sinfonie und Faurés Requiem mit dem Rotterdams Philharmonisch Orkest mitwirken. Sein Opern- und Konzertrepertoire reicht von den Werken Johann Sebastian Bachs bis ins 21. Jahrhundert. Er ist zudem als Liedsänger sehr aktiv und führt immer wieder die großen Liederzyklen von Schubert, Schumann, Brahms, Wolf und Mahler auf. In Schuberts Winterreise pflegt er sich selbst am Klavier zu begleiten. Mit Vorliebe widmet er sich darüber hinaus dem französischen Chanson.
In der Kölner Philharmonie gibt er in der Aufführung von Herzog Blaubarts Burg sein Debüt.
Philzuid
Die Philharmonie Zuidnederland, seit 2023 kurz: Philzuid, formierte sich 2013 aus der Fusion des Brabants Orkest mit dem Limburgs Symfonieorkest. Sie hat ihren Sitz in Maastricht und Eindhoven und konzertiert vorwiegend in den Niederlanden und den benachbarten Ländern. Seit 2021 ist der Brite Duncan Ward Chefdirigent. Philzuid möchte ein Orchester »für alle« sein und arbeitet intensiv an neuen Konzertformaten, die auch an ungewöhnlichen Orten stattfinden. Das Orchester veranstaltet Karnevalskonzerte, spielt im Rahmen von Business-Events oder setzt Filmprojekte um. Sein Repertoire reicht von alten Meisterwerken bis zu Uraufführungen. Besonders wichtig ist der Philzuid die Bildungs- und Vermittlungsarbeit. In kleiner Besetzung besucht sie Grundschulen, um die Schulkinder klassische Musik live erleben zu lassen und gibt mit dem gesamten Orchester Sinfonie-Schulkonzerte. Für weiterführende Schulen entwickelt sie Konzertprogramme, in denen die Jugendlichen mit den Musizierenden in Kontakt treten können.
Philzuid war zuletzt im April 2023 in der Kölner Philharmonie zu hören.
Die Besetzung der Philzuid
Violine I
Lei Wang
Malgorzata Michalik
Wilfred Sassen
Violetta Calin-Carstea
David Ernst
Francine Gérardy
Vladimir Horvat
Eva Niziol
Caecilia van Peursem
Geertje Podevyn
Tijmen Wehlburg
Serge Willem
Mathilde Marsal
Dario Rodriguez Ventura
Violine II
Corinna Baldus
Ana Nedobora Ivanova
Chris Chan
Siana Dragneva
Julia van Eck-Jegorova
Marleen Matser
Roland van Mil
Elitza Nikolova
Kaori Oshita
Pascal Prégardien
Anna Smalen
Anna Szafraniec
Viola
Armen Nazarian
Alès Hrdlicka
Aurora Cano Soto
Elizabet Derrac Rus
Manfred Kloens
Erika de Laat
Anna Paslawski
Stefano Sancassan
Ian de Jong
Blanca Sanchez Salvador
Violoncello
Gabriel Arias Luna
Sanne de Graaf
Claudia Heimonen
Anton Ivanov
Marc Knippenberg
Saskia Plagge
Joep Willems
Anna Nagy
Kontrabass
Dennis Pientak
Lisa Blok
Andreia Pacheco
Pia Pirtinaho
Uli Winz
Silvia Gallego Sanchez
Bas Vliegenthart
Flöte
José Antonio Cabedo Cervera
Angela Stone
Adeline Salles
Camille Schneegans
Oboe
Andries Boelens
Balder Dendievel
Herman Vincken
Klarinette
Roger Debougnoux
Roger Niese
Karel Plessers
Fagott
József Auer
Willmer Torres Martínez
Jolanda Wolters
Elias Agsteribbe
Horn
Peter Hoeben
Steven Minken
Cleo Simons
Claudia Rigoni
Trompete
Raymond Vievermanns
Ramon Wolkenfelt
Ruud Visser
Brian Bonga
Luis Garcia-Escribano Tajuelo
Posaune
Lode Smeets
Sandor Hendriks
Yoran Ambroes
Wim Bex
Luca Bollweg
Thomas Monden
Tuba
Joost Smeets
Pauken
Bas Voorter
Schlagzeug
Raymond Spons
Frank Nelissen
Harfe
Marieke Schoenmakers
Marleen de Bakker
Celesta, Orgel
Aart Bergwerff
Duncan Ward
Der britische Dirigent Duncan Ward leitete bereits als Zwölfjähriger eine Schulproduktion seines eigenen Musicals Alice. Er studierte Klavier, Horn, Komposition, Dirigieren und Jazz am Trinity Laban Conservatoire of Music and Dance in London und wurde 2005 als BBC Young Composer of the Year ausgezeichnet. 2012 wurde er auf Vorschlag von Sir Simon Rattle in die Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker aufgenommen. Heute ist er Chefdirigent der Philzuid und des Mediterranean Youth Orchestra des Festival d’Aix-en-Provence. Darüber hinaus arbeitet er regelmäßig mit international renommierten Orchestern und Opernhäusern zusammen, außerdem mit Ensembles der historisch informierten Aufführungspraxis sowie Ensembles, die sich auf Neue Musik spezialisiert haben. Duncan Ward engagiert sich darüber hinaus regelmäßig in Wohltätigkeitsprojekten und leitet etwa Produktionen der Londoner Streetwise Opera, die mit obdachlosen Menschen zusammenarbeitet. Bereits als Teenager war er Mitbegründer der WAM Foundation, die es jungen britischen Musiktalenten ermöglicht, in Schulen in ganz Indien zu unterrichten.
Duncan Ward war bei uns zuletzt im Juni 2024 zu erleben und wird im April 2025 erneut bei uns zu Gast sein.
Vorschau
Die nächsten Konzerte in der Reihe Philharmonie.7
Mo
20
Jan 2025
19:00
Mi
5
Mär 2025
19:00
Abel Selaocoe & Aurora Orchestra
Philharmonie.7 – In einer Stunde um die Welt
Porträt Abel Selaocoe
Vorverkauf startet am 07.11.2024 um 12:00 Uhr
Weitere Highlights
Fr
8
Nov 2024
20:00
Hinweise
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Redaktion
Der Text von Oliver Binder und die Audioeinführung von Marie König sind Originalbeiträge für die KölnMusik.
Sebastian Loelgen
Kulturpartner der Kölner Philharmonie