Louwrens Langevoort im Gespräch mit Lahav Shani
Lahav Shani ist in dieser Saison Porträtkünstler der Kölner Philharmonie und wird in drei Konzerten mit drei unterschiedlichen Spitzenorchestern zu erleben sein. Mit Louwrens Langevoort spricht er über die unterschiedlichen Charakteristika seiner drei Orchester, über die Rolle des Dirigenten in der Gegenwart, über Repertoirevorlieben, über den Kontakt zum Publikum und über den Dirigentenwettbewerb, mit dem seine Karriere vor zwölf Jahren ihren Anfang nahm.
Louwrens Langevoort und Lahav Shani lernten sich vor zwölf Jahren beim Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerb in Bamberg kennen: Lahav Shani war damals Dirigierstudent an der Berliner Hochschule für Musik Hanns Eisler und nahm an dem Wettbewerb teil, Louwrens Langevoort war Mitglied der Jury. „Ich war 24. Ich sah keine Chance für mich, den Wettbewerb zu gewinnen, nicht einmal, in die zweite Runde zu kommen“, erinnert sich Lahav Shani. „Der Grund, warum ich überhaupt mitgemacht habe, war, dass mein Lehrer mich gezwungen hat, mich für einen Wettbewerb anzumelden.“ Lahav Shanis Plan war, den Wettbewerb als schöne Erfahrung zu nehmen und einfach die Zusammenarbeit mit dem Orchester zu genießen. „Ich war sehr entspannt, weil ich ja keine Erwartungen hatte. Als ich dann im Finale stand, dachte ich: ‚Wow! Wenn ich den dritten Preis gewinne, kann ich davon ein ganzes Jahr leben.‘“ Lahav Shani gewann nicht nur den dritten Preis, er gewann mit Bravour den ersten Preis – zu seiner eigenen Überraschung. Es folgten Einladungen von großen Orchestern wie der Staatskapelle Berlin, dem Israel Philharmonic Orchestra und den Wiener Philharmonikern und Symphonikern. „Das hat mich alles komplett überrascht und überrannt, es war irgendwie zu früh in meinem Leben. Ich hatte noch gar kein richtiges Repertoire, ich konnte nur zwei oder drei Sinfonien dirigieren“, erinnert sich Lahav Shani schmunzelnd. „Aber diese hast du hervorragend dirigiert!“, betont Louwrens Langevoort.
Heute wirkt Lahav Shani als Chefdirigent des Rotterdams Philharmonisch Orkest, er ist in der Nachfolge von Zubin Mehta Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra und er ist designierter Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Das Rotterdams Philharmonisch Orkest war das erste Orchester, das ihm den Titel als Chefdirigent verlieh. „Mit diesem Orchester hat die Chemie sofort gestimmt. Das hat mir sehr viel bedeutet, besonders weil ich noch sehr jung und unerfahren war, als ich dort anfing“, sagt Lahav Shani. „Zehn Jahre nach meinem Debüt mit dem Orchester ist daraus eine großartige Freundschaft geworden, die in meinem Leben eine große Rolle spielt.“ Die Musiker des Israel Philharmonic Orchestra empfindet Lahav Shani als musikalisch sehr ehrlich. „Sie sind sehr direkt und sagen einem ins Gesicht, was sie musikalisch denken.“ Und die Münchner Philharmoniker? „Sie sind sehr warmherzig, musikalisch sehr gut informiert und äußerst ausdrucksstark“, so Lahav Shani. „Wir haben großes gegenseitiges Verständnis für die jeweiligen musikalischen Ideen. Ich liebe den Klang dieses Orchesters.“
Die Rolle des Dirigenten hat sich im Laufe der letzten hundert Jahre stark verändert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde ein Chefdirigent völlig anders angesehen als heute. „Wie empfindest du deine Position?“ „Früher gab es diese großen legendären Maestri, bei denen alles, was sie sagten, zu hundert Prozent richtig war und nie infrage gestellt oder bestritten werden durfte“, sagt Lahav Shani. Und er ist sehr froh, dass sich das geändert hat. „Nicht nur die Rolle des Dirigenten hat sich verändert, sondern die gesamte Gesellschaftsstruktur. Die Autorität ist heute anders als vor hundert Jahren, und auch die Art und Weise, wie man mit Autoritätspersonen spricht. Natürlich muss ein Dirigent eine Vision, eine ausgeprägte Wahrnehmung haben. Aber ich sehe es so, dass wir auf demselben Schiff sind und gemeinsam versuchen, dasselbe Ziel zu erreichen.“ Dabei ist es wertvoll, dass Lahav Shani als Kontrabassist im Orchester angefangen hat und die andere Seite kennt. Wenn man ein Streichinstrument spielen kann, ist das Lahav Shani zufolge für einen Dirigenten sehr hilfreich: „Wenn man mit einer Gruppe von 16 Geigen spricht, muss man alle Optionen kennen: an welcher Stelle des Bogens und auf welcher Saite sie spielen, welchen Finger sie verwenden und welche Art von Staccato. Es gibt so viele technische Elemente, wenn man diese wirklich versteht, kann man viel besser mit dem Orchester kommunizieren.“ Doch es gibt auch einen psychologischen Aspekt, der Lahav Shani sehr am Herzen liegt. „Es ist für mich wichtig zu wissen, wie es sich anfühlt, von einem Dirigenten geleitet zu werden. Wenn man etwas erreichen will, muss man sehr genau und präzise sein und den Musikern sagen, was geändert werden muss – und ihnen hoffentlich auch sagen, warum, man muss sie überzeugen. Es ist hilfreich, wenn man diesen Prozess auch von der anderen Seite erlebt hat. Ich möchte den Musikern etwas sagen können, das ungewöhnlich ist, das über das hinausgeht, was sie alle bereits wissen.“
Lahav Shani hat nicht nur Dirigieren und Kontrabass studiert, er ist auch ein begnadeter Pianist. Bei seinem Konzert mit den Münchner Philharmonikern wird er den Solopart bei Mozarts letztem Klavierkonzert KV 595 übernehmen und das Orchester vom Flügel aus dirigieren. „Ich liebe es, Klavier zu spielen, und dann noch mit solch einem großartigen Orchester. In diesem Fall möchte ich als Chefdirigent die Musiker dazu anleiten, mehr zuzuhören und weniger zuzusehen. Zuhören bedeutet, dass man reagiert, was bedeutet, dass man zu spät kommt. Es sollte eine Gabe der Antizipation bei den Musikern vorhanden sein, sie sollten überlegen, was der Dirigent oder der Solist als Nächstes macht. Wann könnte die nächste Note kommen?“
„Dein Repertoire ist mittlerweile sehr breit gefächert, die Zeiten sind längst vorbei, in denen Du nur zwei oder drei Sinfonien dirigieren konntest. Hast du ein Lieblingsrepertoire, mit dem du dich besonders wohl fühlst? Oder nimmst du jede Partitur, die du bekommst, gleich an?“ Lahav Shani denkt kurz nach: „Mit jeder Partitur, die ich bekomme, muss ich an einen Punkt kommen, an dem ich mich vollständig mit dem Komponisten identifiziere. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich auf dem Podium stehen und etwas halbherzig tun kann.“ In seinen Konzerten als Porträtkünstler dirigiert er in dieser Saison große Werke der romantischen Orchesterliteratur wie Brahms’ zweite und Tschaikowskys fünfte Sinfonie. „Ich fühle mich mit dieser Art von sehr ausdrucksstarker Musik wohl“, sagt Lahav Shani, „sie ist harmonisch sehr interessant, manchmal komplex. Tschaikowsky, Mahler, Bruckner und Brahms ... Es ist eine lange Liste, die bis ins 20. Jahrhundert reicht. Ich habe das Gefühl, ich brauche dieses hochexpressive Element in der Musik, um wirklich zu spüren, dass es aus dem Bauch kommt, nicht nur aus dem Kopf.“
Regelmäßig widmet sich Lahav Shani auch zeitgenössischer Musik, dirigiert jedes Jahr ein neues Auftragswerk oder eine Uraufführung, aus Neugier und wegen der Notwendigkeit, Musik für die Zukunft weiterzuentwickeln und nicht nur immer wieder zu wiederholen, was schon einmal gemacht wurde, wie er betont. Dabei ist es ihm wichtig, sich selbst treu zu bleiben und nicht jede erdenkliche zeitgenössische Musik aufzuführen. „Ich kenne einige sehr junge Komponistinnen und Komponisten, von denen ich hoffe, dass sie Erfolg haben, und ich versuche, ihnen behilflich zu sein“, sagt Lahav Shani. „Wenn ich ein junges Talent entdecke, von dem ich glaube, dass die Zusammenarbeit mit einem Orchester hilfreich sein kann, dann unterstütze ich das. Wie damals Diaghilew, als er das Potenzial in Igor Strawinsky erkannt hat, in einem sehr jungen Stravinsky, und ihm immer mehr Aufträge gegeben hat.“
Über ihre Aufgabe in der heutigen Gesellschaft machen sich beide ihre Gedanken, sowohl Lahav Shani als Dirigent bedeutender Orchester als auch Louwrens Langevoort als Intendant eines großen Konzerthauses. „Wir müssen unser Publikum fesseln, wir müssen sehen, wie wir die Bedeutung der Musik für die Welt um uns herum aufrechterhalten können“, sagt Louwrens Langevoort. „Was wäre Dein Rezept?“, möchte er von Lahav Shani wissen. „Unsere Arbeit ist wichtig, denn die Musik, die wir spielen, macht einen großen Teil der heutigen Menschheitsgeschichte aus“, sagt Lahav Shani. „Das bei einem Live-Konzert zu erleben, mit anderen Menschen, ist etwas Einzigartiges. Die Kraft der Musik, die Kraft des Ausdrucks ist enorm. Es geht darum, die tiefsten Emotionen zu erreichen, die wir als Menschen erleben können. Emotionen, die nicht in Worte gefasst werden können, die nur mit Noten und Klängen ausgedrückt werden können.“
Lahav Shani versucht oft, mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen. „Ich habe das in Israel gemacht, auch in Rotterdam, in Videos, auf der Bühne. Und ich lade die Leute zu meinen Proben ein. Meine Proben sind immer offen. Was ist eine Probe? Was verbessern wir? Woran arbeiten wir? Was interessiert uns? Wozu brauchen wir überhaupt eine Probe? Es geht darum, diese Elemente zu vermitteln. Ich glaube, es kommt oft vor, dass Menschen, insbesondere junge Menschen, das Gefühl haben, die Musik könnte interessant sein. Aber sie sind nicht mit dieser Musik aufgewachsen. Sie verstehen sie nicht. Wir wissen, dass Musik in vielen Teilen der Welt nicht Teil des Bildungssystems ist. Daher müssen wir uns darum bemühen, diesen Menschen zu helfen, mehr zu verstehen, neugieriger zu werden und sich mehr zu öffnen. Wir müssen ihnen die Schönheit dessen zeigen, was wir tun.“



