Digitales Programmheft
ÉRMA Ensemble ©Anna Tena

InSzene@ACHTBRÜCKEN

Werke von Angel Hernández Lovera, Gérard Grisey, Kathrin A. Denner und Milica Djordjević

Lagerstätte für die mobilen Hochwasserschutzelemente (Rodenkirchener Brücke) Pause gegen 16:40 | Ende gegen 17:30
Samstag
10.05.2025
16:00

Programm

Programm

ÉRMA Ensemble:

Angel Hernández Lovera *1984
Pfade, die sich verzweigen (2024)
für Ensemble
Uraufführung

Gérard Grisey 1946–1998
Jour, contre-jour (1978–79)
für elektrische Orgel, dreizehn Instrumente und Tonband


Pause


Fabrik Quartet:

Kathrin A. Denner *1986
Aeris (2024–25)
für Streichquartett

Milica Djordjević *1984
The Death of the Star-Knower, petrified echoes of an epitaph in a kicked crystal of time I & II (2008–09)
für Streichquartett


Wir danken dem Theater Krefeld & Mönchengladbach für die Bereitstellung der Orgel.

 

ACHT BRÜCKEN in Kooperation mit Podium Gegenwart des Deutschen Musikrates und den Stadtentwässerungsbetrieben Köln, gefördert durch die Brigitte-Wagner-Halswick-Stiftung.

Zu den Werken

Angel Hernández Lovera: Pfade, die sich verzweigen

Der Garten der Pfade, die sich verzweigen betitelt der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges 1944 eine 13-seitige Erzählung. Sie spielt während des Ersten Weltkriegs: Yu Tsun, ehemaliger Englischdozent der Hochschule Tsingtau, der deutschen Kolonie in China (1898–1919), spioniert für die Deutschen in England. Er begegnet dabei dem britischen Sinologen Stephen Albert, der das chinesische Werk Der Garten der Pfade, die sich verzweigen dechiffriert hat, bei dem es sich nicht um eines der im alten China oft angelegten parkähnlichen Wandellabyrinthe handelt, sondern um ein labyrinthisches, symbolgeladenes, überzeitliches Buch, das ein Vorfahre Tsuns verfasst hat. Nach längeren Erörterungen über Inhalt und Struktur der auf Unendlichkeit angelegten Schrift erschießt der Spion den Gelehrten; nur so kann er seinen Berliner Auftraggebern den Namen der Stadt Albert (Frankreich) mitteilen, die es zu bombardieren gilt. Denn vom Mord des Sinologen, da ist sich Yu Tsun sicher, wird in der Zeitung stehen, ebenso seine Hinrichtung; der Verfolger klebte bereits an seinen Fersen.

Auf diese Kurzgeschichte bezieht sich der venezolanische, in Wien lebende Komponist Angel Hernández Lovera in seinem Ensemblestück Pfade, die sich verzweigen. Doch ist es nicht der Plot, der ihn dazu inspiriert hat; vielmehr sind es die Erläuterungen zu dem fiktiven Buch, dessen »unendliche Zeitreihen«, einem »wachsenden, schwindelerregenden Netz auseinander- und zueineranderstrebender und paralleler Zeiten«; »dieses Webmuster aus Zeiten, die sich einander nähern, sich verzweigen, sich scheiden oder einander jahrhundertelang ignorieren, umfasst alle Möglichkeiten« (Borges). Solche Aspekte verwebt Lovera in seiner Komposition zu einem Netz zahlreicher Wege: mit vielen Verzweigungen, Kreuzungen, auch Sackgassen, die alle gleichberechtigt nebeneinander existieren, sich teils gegenseitig spiegeln oder (scheinbar?) gar nichts miteinander zu tun haben. Manche semantische Note aus der Geschichte hat Lovera wohl zu Klangnoten in seinen »Pfaden« inspiriert, jedenfalls tönt etwa auch eine »perlende Musik«, von der bei Borges die Rede ist.

Gérard Grisey: Jour, contre-jour

Ein »geheimnisvolles Echo auf eine unvergessliche Lektüre«, so bezeichnet der französische Komponist Gérard Grisey sein 1978/79 entstandenes Stück Jour, contre-jour für elektronische Orgel, 13 Musiker und Vierspur-Tonband. Er meinte damit das Ägyptische Totenbuch, eine von dem Sprach- und Altertumsforscher Richard Lepsius 1842 edierte Sammlung mit Zaubersprüchen und liturgischen Anweisungen aus dem alten Ägypten, niedergeschrieben etwa 2500 bis 2000 Jahre vor unserer Zeitrechnung. In einem langgezogenen Prozess von musikalischem Licht und Schatten, in den auch vom Tonband zugespielte Atemgeräusche integriert sind, verklanglicht und veranschaulicht Grisey hier – aus vorgaliläischer Perspektive – die Wanderung der Sonne am Firmament. Die aus Obertonspektren und ergänzten Kombinationstönen generierten Klänge flirren, gleißen, leuchten, glühen; besäßen Sounds klimatische Temperaturen, wären sie hier heiß wie Wüstenluft am Tage. In der Nacht wird es dort bekanntlich kalt und auch Griseys Akkorde werden später kühler, tiefer und dunkler. Der altägyptische Sonnengott Re zog tagsüber mit seiner Barke über den Himmel; nachts besuchte er das Totenreich.

Kathrin A. Denner: Aeris

Das Streichquartett Aeris schrieb Kathrin A. Denner 2024/25 für das Fabrik Quartet, das es beim Stuttgarter Eclat-Festival 2025 uraufführte. Zu Aeris – was lateinisch »Luft« bedeutet, in einer ganz eigenen (phonetischen) Umschrift aus dem Japanischen aber auch »Erde« heißen kann – bemerkt die Komponistin, dass »dessen klangliche Sprache durch subtile Erweiterungen des instrumentalen Spektrums geprägt wird. Klangschalen bilden den Ausgangspunkt des Werkes – ihr Nachklang wird aufgegriffen und transformiert, um eine fragile, schwebende Struktur zu schaffen. Die Spieler:innen nutzen Spieltechniken wie Flageolette, sul tasto und sul ponticello, um feinstufige klangliche Übergänge und schillernde Texturen zu erzeigen. Das Werk thematisiert die Zerbrechlichkeit des Klangs und das Wechselspiel zwischen Resonanz und Stille, wobei der luftige Charakter der Komposition einen ephemeren, doch intensiven Klangraum entstehen lässt.«

Milica Djordjević: The Death of the Star-Knower, petrified echoes of an epitaph in a kicked crystal of time I & II

Der Titel von Milicia Djordejević’ 2008/09 komponierten Streichquartett The Death of the Star-Knower – petrified echoes of an epitaph in a kicked crystal of time I & II (»Der Tod des Sternenkenners – versteinerte Echos eines Epitaphs in einem getretenen Kristall der Zeit I & II«) legt zweifellos Spuren. Aber wohin? Zu den oft das Stellare akzentuierenden Werken des amerikanischen Komponisten George Crumb, der in seinen Partituren gerne ähnlich skurrile, indes metaphorisch oder konkret auflösbare Binnentitel und Bemerkungen notiert? Vielleicht. Die Komponistin hat bisher jedenfalls wohl keinen Metatext zum Titeltext ans Licht gelassen. So müssen die verbalen Spuren, die einfach einer Lust für die gebotene Benamsung entsprungen sein mögen – jedes Kind hat einen Namen, warum diesen oder jenen wissen manchmal selbst die Eltern nicht – direkt zur »perSon« (= durch Klang) führen. Und das Stück fließt in sämtlichen Details. Alles ist immer in Bewegung, ändert sich millisekündlich. Ein kontinuierlicher nervöser Strom mannigfacher, auch kontrastiver glissandierender (Misch-)Farben, aus dem sich gleichwohl in mehreren Anläufen konturierte Ereignisse, Ministories, thematische Eilande herausbilden. Doch rapide und stark weiter geht’s, die Situation und ihre in sich verschachtelten Dramaturgie(n) sind angespannt und spannend.

Stefan Fricke

Fragen an ...

Wir haben den Künstlerinnen und Künstlern acht Fragen gestellt, deren Beantwortung ein persönliches Bild darüber ergeben sollte, welche Aspekte ihre musikalische Arbeit beeinflussen. Es blieb ihnen freigestellt, welche und wie viele der Fragen sie in ihrer eigenen oder einer ihnen vertrauten Sprache beantworten.

»Das Wichtigste ist, dass die Musik Balance, Überraschungen und eine Botschaft für mich hat.«

Angel Hernández Lovera | Komponist

Angel Hernández Lovera

Angel Hernández Lovera ©Petra Sittig

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»Zeitgenössische Musik fühlt sich lebendig an«

Yorgos Ziavras | Dirigent

Yorgos Ziavras

Yorgos Ziavras ©Leander Mundus

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»Zeitgenössische Musik ist für mich ein Herzensanliegen.«

Anton Gerzenberg | Elektrische Orgel, Klavier

Anton Gerzenberg

Anton Gerzenberg ©Andrej Grilc

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»Wir inspirieren uns gegenseitig beim Spielen.«

ÉRMA Ensemble

ÉRMA Ensemble

ÉRMA Ensemble ©Anna Tena

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»Es gibt nichts, was Musik nicht kann.«

Fabrik Quartet

Fabrik Quartet

Fabrik Quartet ©Kathrin Benstem

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Podium Gegenwart des Deutschen Musikrats

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  • Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM)
  • Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL)

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Redaktion

Redaktion:

Sebastian Loelgen